Individuelle Problemlagen in der Praxis (Interview mit Rainer Kissing, Teil 1)

Lesezeit: 6 Minuten
Rainer Kissing (IHK zu Coburg)

Selbstständigkeit bzw. -organisation und realistische Erwartungen an eine Ausbildung bilden die Basis für einen erfolgreichen Ausbildungsverlauf.

Um die individuellen Problemlagen in der Praxis näher einzuordnen, interviewte das Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) Rainer Kissing, zuständig für den Bereich der beruflichen Bildung und Ausbildungsberater bei der IHK zu Coburg . Er berät Auszubildende, die Probleme in der Ausbildung haben bei allgemeinen Fragen sowie zu Rechtsfragen.

Welche individuellen Problemlagen treten aus Ihrer Praxiserfahrung während einer Ausbildung am häufigsten auf?

f-bb

Also einmal sind die Auszubildenden natürlich in einem komplett neuen Umfeld, d. h. sie sind aus der behüteten Schule heraus und sind jetzt sozusagen das erste Mal im Erwerbsleben angekommen, in dem die Erwartungen an sie deutlich höher sind als in den allgemeinbildenden Schulen. Das kann ein Grund sein.
Das Zweite ist: Oftmals stellen die Auszubildenden erst während ihrer Ausbildung fest, dass die Berufswahl, die sie getroffen haben, nicht gepasst hat. Die Ausbildungsinhalte oder wie sich die Ausbildung gestaltet, ist anders als die Vorstellung, die der junge Mensch von der Ausbildung hatte; die Wirklichkeit ist anders als die Vorstellung von dem Beruf.
Was natürlich auch dazu kommt, ist, dass oft selbstständiges Handel auch erwartet wird von den Unternehmen und dass dann ein bisschen auch die Praxis fehlt, wie man sich selbst organisiert. Vorab waren sie strukturiert durch die Schule. Diese Selbstorganisation tritt jetzt mehr in den Vordergrund.
Viele Auszubildende fühlen sich auch überfordert oder können sich überfordert fühlen. Manchmal sind sie auch nicht in der Lage, die Anforderungen, die in Unternehmen an sie gestellt werden, so eins zu eins umzusetzen.

Rainer Kissing (IHK zu Coburg)
komplett neues Umfeld mit deutlich höheren Erwartungen Ausbildung anders als in ihrer Vorstellung fehlende Praxis, wie man sich selbst organisiert (gefühlte) Überforderung

Wie kann diesen Problemlagen am besten begegnet werden?

f-bb

Wenn ich als Auszubildender falsch verortet bin, weil die Berufswahl nicht passt, dann hätte im Vorfeld natürlich eine bessere, fundiertere Berufsorientierung Sinn und Zweck gehabt und hätte dann möglicherweise zu dieser Fehleinschätzung nicht geführt.
Klar ist auch, dass es natürlich gut wäre, wenn der Auszubildende gestärkt wird in der Form, dass er sich selbst organisiert, die Anforderungen, die an ihn gestellt werden, versucht irgendwie auch eigenständig umsetzen zu können. Wichtig ist natürlich auch auf Seiten der Unternehmen, dass ihnen klar ist, dass es Jugendliche sind, die aus einem komplett anderen Sozialisierungskontext kommen, nämlich der Schule, und im Betrieb erst behutsam an die Aufgaben herangeführt werden sollen.

Rainer Kissing (IHK zu Coburg)

Weiterführende Informationen

Gründe für Vertragslösungen aus Sicht der Auszubildenden wandeln sich

Die Hälfte der Vertragslösungen geht von Auszubildenden aus

Schreiben Sie einen Kommentar